Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (3)

 

Bumerangs und Biennale

 

Kennen Sie Hahndorf? Hahndorf in Australien, benannt nach dem Sylter Kapitän Dirk Meinerts Hahn?

50 Jahre nach den ersten britischen Sträflingsschiffen brachte Hahn (1804-1860) im Jahre 1838/39 187 deutsche Auswanderer auf seinem Schiff, der „Zebra“, nach Australien und half ihnen, Land zu erwerben um einen Ort zu gründen. Ihm zu Ehren wurde die in der Nähe von Adelaide liegende Siedlung Hahndorf genannt. Sie besteht bis heute und hat etwa 2.200 Einwohner.

Hahn war nicht der erste Schleswig-Holsteiner auf australischem Boden. Bereits ein Jahr vorher waren auf der „Bengalee“ neun Auswanderer aus „Holstein“ an Bord. 1857 transportierte die „Peter Godeffroy“ 29 Schleswig-Holsteiner, allein neun davon stammten aus Kellinghusen. Heute haben etwa 3,8% aller Australier deutsche Wurzeln, die meisten davon leben im Osten und Süden der Insel. Nicht alle sind Nachfahren der Auswanderer des 19. Jahrhundert. Viele kamen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Briten und andere Auswanderer aus Europa stießen auf einen bewohnten Kontinent. Dennoch galt das Land den Briten als „Terrra nullius“, als Niemandsland. Dabei war der Kontinent seit etwa 60.000 Jahren von modernen Menschen (Homo sapiens) besiedelt – nach Britannien gelangte er übrigens erst vor 41.000 – 44.000 Jahren.

Lange vor der Landnahme durch die Briten im 18. Jh. unterhielten die Makassaren von der Insel Sulawesi Handelsbeziehungen zu Australien. Etwa 1000 von ihnen segelten jährlich die 2000km, um im Norden des Kontinents etwa ein halbes Jahr lang Seegurken zu sammeln, die sie nach ihrer Rückkehr nach China verkauften, wo sie als Delikatesse geschätzt wurden. Um 1754 bestand ein reger Interkontinentalhandel mit den dortigen Aborigines (u.a. den Yolngu), der nach der Saison 1906 /1907 eingestellt wurde. Die Handelsbeziehungen hinterließen Spuren in den Sprachen, Riten und Mythen der beteiligten Aborigines. Einige von ihnen fuhren mit nach Makassar: 1867 lebten 17 Aborigines dort (Clark und May 2013: 2, Flood 2006: 7-9, Langton, Sloggett 2014:6, McKnight 2013: 21).

Die britischen Methoden, Kontakt zu den Indigenen zu knüpfen, waren dagegen, gelinde gesagt, rabiat. Man nahm kurzer Hand einige Aborigines gefangen und brachte sie zum Governeur, der hoffte, von ihnen die Sprache zu lernen, „um eine Kolonie in friedlicher Koexistenz mit den Einheimischen aufzubauen“ (Arabanoo – Wikipedia; Bennelong – Wikipedia). Die Methode des Kidnappings war nicht neu, sie wurde von den Niederländern bereits 1623 im Norden des Kontinents gehandhabt. Was folgte, war eine lange Reihe von Grenzkriegen, Menschenjagden, Massakern, Vertreibungen, Vergewaltigungen, Inhaftierungen, institutionellem Kinderraub z.T. bis in die 1970er Jahre (The Stolen Generation | Australians Together, Morgan 2018). In dessen Folge wurde die indigene Bevölkerung z.B. in Südostaustralien von 250.000 (1788) auf 10.000 oder 15.000 (1850) reduziert (Harris 2003: 81). Einige Wissenschaftler schätzen, dass die Aborigines Bevölkerung Australiens insgesamt um 96% dezimiert wurde (ebd.: 81).

Einer eben erwähnten ersten Gefangenen der Engländer, Wollarawarre Bennelong, fuhr 1792 zusammen mit seinem Freund, Yemmarrawanne, als erster Aborigines nach England und wurden König Georg III. vorgestellt. Yemmarrawanne starb 1794 im Alter von 19 Jahren in Kent, sein Grab zierte ein Bumerang. Bennelong kehrte 1795 nach Australien zurück.

In den Museen, die an unserem Projekt teilnahmen, werden derzeit 62 Objekte aus Australien aufbewahrt. Interessanterweise dominieren hier die Waffen: (Fisch)Speere, Speerschleudern, (Wurf)Keulen, Bumerangs, Schilde. Sie kamen von unterschiedlichen Sammlern und einem Händler zwischen 1916 und 2012 in die Museen. Viele, wenn nicht sogar alle diese Objekte wurden von den Aborigines eigens in großer Anzahl für den Verkauf produziert (vgl.: Harrison 2011: 76,77; Hinkson 2001: 122). Der Archäologe Rodney Harrison konnte nachweisen, welche zentrale Rolle dabei das Geschäft Tost & Rohu spielte, das von 1878 bis in die 1930er Jahre in Sidney ausgestopfte Tiere und Ethnographica verkaufte. Das Unternehmen gab auch kleine Verkaufskataloge heraus (Tost and Rohu (Sydney), Australian aboriginal curios (for sale) (8p.) (nla.gov.au)).  Die in unterschiedlichen Teilen des Kontinents gelegenen Missionsstationen waren dabei sicherlich Zulieferer. Harrison stellte fest, dass häufig angebotene Objekte wie Bumerangs sehr preiswert waren. Hier stellt sich die Frage, inwieweit „Massenware“ unser Bild von den Indigenen geprägt hat.?

Der bereits im Beitrag zu Sri Lanka erwähnte Maschinistenmaat Johannes Schumacher beschrieb 1908 seinen Landgang in Brisbane. Auch hier galt einer seiner ersten Wege dem Museum: „Das Queensland-Museum, die sog. Exhibition, ist sehr reichhaltig. Besonders zu erwähnen sind Waffen der Eingeborenen, wie Streitäxte, Speere, Bogen, Pfeile, ferner Bumerangs, ein gebogenes Stück Holzscheit, das von Eingeborenen geworfen, vom Ziel zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Es ist eine sehr gefährliche Waffe“ (Schumacher 2005: 41). Ob er möglicherweise hier oder in Sidney, wo das Schiff neun Tage später anlegte, einen Bumerang gekauft hat, bleibt Spekulation.

Auch heute noch sind Bumerangs beliebte Australienandenken. Aber welches Bild vermitteln sie von seinen Herstellern? Zeigen sie deren komplexe und reiche nichtmaterielle Kultur? Oder reduzieren sie sie auf „Steinzeitmenschen“?   Im 1953 erschienenen Sanella-Sammelalbum geht der Autor sogar noch einen Schritt weiter und stellt sie gleichsam auf die Stufe von wilden Tieren. Auf einer Fahrt des jugendlichen Protagonisten durch Australien stehen plötzlich drei Aborigines an der Straße. „Ganz ruhig sein“, sagte Onkel John leise. „Keine hastigen Bewegungen, sonst laufen sie fort“ (Lüneburg [1953]: 18).

Ganz anders verhält es sich mit der modernen „Aboriginal Art“, die seit den 1970er Jahren vermarktet wird und ebenfalls Eingang in die Museen gefunden hat. Sie bedient den komplexen spirituellen Aspekt der Aborigines, der unter dem Begriff der „Traumzeit“ bekannt geworden ist. Politische Aborigine-Künstler wie Richard Belle entdecken darin das Vorurteil des „Edlen Wilden“ und die darin versteckte Vorstellung von rassistischen, hierarchischen Verhältnissen.  Belle protestiert dagegen, dass die Kunstzentren, die diese Kunst vermarkten, von Weißen geleitet werden und mit ihrem Kunstbegriff auf die Aboriginal Art schauen. Er wehrt sich auch dagegen, dass man die einzelnen Künstler:innen oftmals nicht beim Namen nennt - Ausnahmen zeigen die Objekte aus der Sammlung des Museums Tuch + Technik in Neumünster und das Museum für Archäologie Schloss Gottorf in Schleswig. Belle selbst setzt mit seinem auf verschiedenen Biennalen gezeigten Aboriginal „Embassy“-Projekt ab 2013 deutliche Zeichen gegen anhaltende und unterdrückende koloniale Machtstrukturen und will mit der Umdrehung von „Herr und Diener“-Bildern (im Hintergrund wartende weiße Diener um Aborigines in Liegestühlen) die „weißen Invasoren, die auf gestohlenem Land leben“ erschüttern / aus der Fassung bringen (Embassy | Richard Bell Art).

P.S. Das erwähnte und weitere Sanella-Alben werden im Dorf- und Schulmuseum Schönwalde aufbewahrt und vom 15. Mai bis 30. September 2022 in der Sonderausstellung „Große Welt in kleinen Bildern“ zu sehen sein.

 

Übrigens: 300 Australier lebten 2020 in Schleswig-Holstein.

 

Fotos: Schleswig: © Museum für Archäologie Schloss Gottorf, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel; Neumünster: © Museum Tuch + Technik, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel; Schönwalde: © Dorf- und Schulmuseum Schönwalde; Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel

 

Zum Weiterhören / Weiterlesen:

1) Stories | Australians Together

2) Morgan, Sally

2018      Ich hörte den Vogel rufen. Zürich.

2019    Wanamurraganya – die Geschichte von Jack McPhee. Zürich

 

Literatur:

  Behrendt, Larissa

2012    Indigeneous Australia for Dummies. Milton. 

  Clark, Marshall und Sally K. May

2013      Understanding the Macassans: a regional approach. In: Clark, Marshall und Sally K. May (Hg.), Macassan History and Heritage. Journeys, Encounters and Influences, Canberra. S. 1-18. 

  Dark, Eleanor

1966    Bennelong (c. 1764-1813). In: Australian Dictionary of Biography, National Centre of Biography, Australian National University. Abgerufen unter: https://adb.anu.edu.au/biography/bennelong-1769/text1979 (6.2.2022) 

  Flood, Josephine

2006    The Original Australians. Story of the Aboriginal People. Crows Nest. 

  Harris, John

2003    Hiding the bodies: the myth of the humane colonization of Aboriginal Australia. In: Aboriginal History Journal, vol. 27: S. 79-104. Abgerufen unter: Hiding the bodies (anu.edu.au) (6.2.2022). 

  Harrison, Rodney

2011    Consuming Colonialism: Curio Dealer’s Catalogues, Objects and Indigeneous Agency in Australia. In: S. Byrne et al. (Hg.), Unpacking the Collection. S. 55-82. Abgerufen unter: (PDF) Consuming Colonialism: Curio Dealers’ Catalogues, Souvenir Objects and Indigenous Agency in Oceania | Rodney Harrison - Academia.edu (7.2.2022). 

  Hinkson, Melinda

2001      Aboriginal Sydney: A Guide to Important Places of the Past and Present, Aboriginal Studies Press, Canberra. 

  Langton, Marcia und Robyn Sloggett

2014      Trepang: China and the story of Macassan-Aboriginal Trade – Examining historical accounts as research tools for cultural materials conservation. In: AICCM Bulletin 35(1):4-13; abgerufen unter DOI:10.1179/bac.2014.35.1.001.

  Lüneburg, Heinz

[1953]   Australien, Neuseeland. Jims Abenteuer im Land der trockenen Flüsse. Hamburg. 

  Macknight, Campbell

2008      Harvesting the Memory. Open beaches in Makassar and Arnhem Land. In: Veth, Peter, Peter Sutton und Margo Neale (Hg.), Strangers on the Shore. Early coastal contacts in Australia. Canbarra. S. 133-147. Abgerufen unter: 01_Macknight_Harvesting_the_memory-_2008.pdf (anu.edu.au) (7.2.2022).

2013      Studying trepangers. In: Clark, Marshall und Sally K. May (Hg.), Macassan History and Heritage. Journeys, Encounters and Influences, Canberra. S. 19-40. 

  Schuhmacher, Johannes

2015      Erinnerungen eines Soldaten von S.M.S. Planet, 1907-1909. Forschungsanstalt der Bundeswehr für Wasserschall und Geophysik (FWG), FWG-Report 53.

 

Onlinequellen:

Captain D. M. Hahn | Monument Australia(30.1.2022)

Kapitän Dirk Meinerts Hahn - einer der berühmtesten Syltern (bals-sylt.de) (30.1.2022)

Kapitän Hahn beschreibt seine Reise nach Australien mit einer Auswanderer-Fracht (archive.org) (30.1.2022)

Captain D. M. Hahn | Monument Australia(30.1.2022)

Passenger List - Peter Goddefroy / Peter Godeffroy, Hamburg to Adelaide, 1857 (theshipslist.com) (30.1.2022)

Passenger List - Zebra, Hamburg to Adelaide, 1839 (theshipslist.com) (30.1.2022)

Passenger List - Bengalee, Hamburg to Adelaide, 1838 (theshipslist.com) (30.1.2022)

German Australians - Wikipedia(30.1.2022)

maertens_germans_in_nt_jan2018_niwp.pdf (cdu.edu.au) (30.1.2022)

Hahndorf (South Australia) – Wikipedia(30.1.2022)

Sträflingskolonie Australien – Wikipedia(30.1.2022)

Colonisation | History Of When Australia Was Colonised (australianstogether.org.au) (30.1.2022)

Biography - Bennelong - Australian Dictionary of Biography (anu.edu.au) (30.1.2022)

Bennelong – Wikipedia(30.1.2022)

Bennelong's grave found under a front yard in Sydney's suburbs (smh.com.au) (30.1.2022)

Woollarawarre Bennelong - The Australian Museum(30.1.2022)

Arabanoo – Wikipedia(30.1.2022)

1788 - Before European Settlement (nsw.gov.au) (30.1.2022)

Vorgeschichte Großbritanniens – Wikipedia(30.1.2022)

Prehistoric Britain - Wikipedia(30.1.2022)

Bennelong and Yemmerrawanne - National Portrait Gallery (npg.org.uk) (30.1.2022)

07: The Stolen Generations - YouTube(30.1.2022)

The Stolen Generation | Australians Together(30.1.2022)

- Macassan History and Heritage - ANU

Wayback Machine (archive.org) (30.1.2022)

Makassan contact with Australia - Wikipedia (30.1.2022)

(PDF) Trepang: China and the story of Macassan- Aboriginal Trade – Examining historical accounts as research tools for cultural materials conservation (researchgate.net) (30.1.2022)

- Macassan History and Heritage - ANU (30.1.2022)

Trepang and wangkang: The China trade of eighteenth-century Makassar c. 1720s-1840s on JSTOR (1.2.2022)

Ubiquitous but Elusive: The Chinese of Makassar in VOC Times on JSTOR (1.2.2022)

Tiwi Land Council (1.2.2022)

Tost & Rohu Museum - Rohu Family (weebly.com) (7.2.2022)

Jane Tost and Ada Rohu: A Remarkable Mother-Daughter Taxidermy Team (untoldstories.net) (7.2.2022)

Tost and Rohu (Sydney), Australian aboriginal curios (for sale) (8p.) (nla.gov.au) (7.2.2022)

The History of the Aboriginal Art Movement | Kate Owen Gallery (7.2.2022)

Richard Bell Art (8.2.2022)

Embassy | Richard Bell Art (8.2.2022)

Richard Bell at The Venice Biennale 2019 - IDAIA (8.2.2022)

Richard Bell on gate-crashing the Venice Biennale — Art Guide Australia (8.2.2022) 

A I 4 - j 20 SH (statistik-nord.de) (9.2.2022)

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